Wissenschaftskriterien
Die Wissenschaftskriterien Karl Poppers wurden zitiert, um für die Medizin „Wissenschaftlichkeit“ einzufordern:1
- Reproduzierbarkeit
- Plausibilität = kein Verstoß gegen fundamentale Naturgesetze
- Sparsamkeit als Einsatz der verfügbaren Mittel auf optimale Weise (engl. parsimony)
- Voraussagewert (engl. predictive and explanatory power)
- Falsifizierbarkeit als Voraussetzung für neue Hypothesen und medizinischen Fortschritt
Aufgrund methodischer Schwächen sind diese Kriterien für die Naturwissenschaft nur bedingt und die Medizin wenig geeignet.
Karl Popper
Der österreichisch-britische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Sir Karl Raimund Popper hat ein populäres Wissenschaftskonzept geschaffen. Poppers Kriterien der „Wissenschaft“ werden immer wieder zitiert. Das Wissenschaftsverständnis Poppers enthält jedoch einige Schwachpunkte, wie der deutsche Internist, Anthroposoph und Erkenntnistheoretiker Helmut Kiene zusammenfasste:2
Die Kernpunkte des Popper’schen Konzepts sind die „Falsifizierbarkeit“, d.h. die Möglichkeit, Theorien auf Widerlegbarkeit zu prüfen, sowie die Idealvorstellung einer „Subjekt-entledigten Wissenschaft“, bei der Wissenschaftler keinen Einfluss auf die Forschungsergebnisse haben. Beide Ansätze sind unrealistisch.
Falsifizierbarkeit
Popper war der Ansicht, Naturgesetze können niemals allgemeingültig verifiziert (bestätigt), sondern durch Beobachtungen, die mit der Theorie im Widerspruch stehen, bestenfalls „falsifiziert“ werden. Das Kriterium „empirischer Wissenschaftlichkeit“, d.h. der üblichen, auf Daten und Erfahrung beruhenden Wissenschaften im Gegensatz zu rein theoretischen Wissenschaften wäre nach Popper deren „prinzipielle Falsifizierbarkeit“. Wissenschaftliche Irrtümer könnten damit im Laufe der Zeit ausgemerzt werden, wodurch ein rationaler Erkenntnisfortschritt möglich wird.
Popper sieht wissenschaftliche Erkenntnis sehr kritisch:
„Für Popper gibt es also keine positiv begründbare naturwissenschaftliche Wahrheit. Alle naturwissenschaftlichen Theorien seien ‚Vermutungswissen’, seien Hypothesen, bis sie eventuell einmal am Prüfstein der Realität scheitern und falsifiziert werden.“
„Jede Entdeckung enthalte ein ‚irrationales Element’, sei eine ‚schöpferische Intuition ... Keine Erkenntnistheorie sollte versuchen zu zeigen, warum Erklärungen gelingen.“
Aufgrund dieser kritischen Sicht will Popper das Wissenschaftsprinzip auf die Prüfung der Hypothesen, d.h. der wissenschaftlichen Annahmen, die noch unbewiesen sind, beschränken. Alles was darüber hinausgeht – jegliche „Erkenntnisbildung“ – lehnte Popper als rational nicht fassbar und unkontrollierbar ab. Damit lehnt Popper jede „Verifizierung“, d.h. jede positive Bestätigung eines wissenschaftlichen Sachverhaltes ab. Diese Sichtweise ist eine Bankrotterklärung für allgemein gültiges Wissen.
Die Falsifikation macht aber Schwierigkeiten: Popper hat dabei „nicht oder kaum beachtet, dass ein negatives Ergebnis wenig Aussagekraft hat: Weder kann allein durch eine widersprechende Beobachtung ein Naturgesetz falsifiziert werden, noch ist das negative Resultat einer randomisierten Studie ein Beleg für fehlende Wirksamkeit einer geprüften Therapie.“
„Vor allem hat Popper übersehen, dass nicht nur das empirische Verifizieren, sondern auch das empirische Falsifizieren, streng genommen, nicht möglich ist. Eine Theorie kann durch bloße Beobachtung nicht eindeutig widerlegt – falsifiziert – werden.“
Subjektlose Wissenschaft
Die „Subjekt-entledigte Wissenschaft“ ist eine Illusion: „Der Glaube, man könne Wissenschaft, zumindest tendenziell, ohne Beurteilung durch das Subjekt des Wissenschaftlers betreiben, ist eine krasse Fehleinschätzung.“
„Auch für die sonstige wissenschaftliche Forschung ist Poppers Annahme einer Subjekt-unabhängigen Erkenntnis eine Illusion, und hier liegt auch der Grund, warum Poppers wissenschaftstheoretisches Konzept letztlich insgesamt wenig tragfähig ist.“
Kritik an Popper
Die einseitige Vorstellung der ausschließlichen Falsifizierbarkeit – die aufgrund von Beobachtungen erkenntnistheoretisch vielfach nicht möglich ist – und das gleichzeitige Fehlen allgemeingültiger Nachweiskriterien zur Verifizierung von Hypothesen, Theorien und Naturgesetzen – verhindert die Erkenntnis von bestätigtem Wissen.
Poppers „subjektlose“ Wissenschaft ist eine Idealvorstellung. Bei jeder Forschung ist auf subjektiver Erfahrung beruhendes Urteilen unerlässlich. Die klinische Erfahrung ist unverzichtbarer Bestandteil der evidenzbasierten Medizin.
Beide Vorschläge weisen methodische Schwächen auf, die der Wissenschaft mehr schaden als nützen.
Fazit
Karl Popper war äußerst wissenschaftskritisch.
Man sollte das Gesamtwerk Poppers und seine wissenschaftskritischen Aussagen würdigen, wenn man Popper zitiert.
Die von Popper vorgeschlagene Falsifizierbarkeit und subjektlose Wissenschaft sind in der Medizin und Komplementärmedizin nicht anwendbar.
Literatur
- Freissmuth 2008
- Kiene 2001
PDF mit Literaturangaben |
Startversion: 31.7.2017
Autor: Friedrich Dellmour